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Ableismus (nicht nur) im Dschungelcamp

Drei Dinge vorweg:

  1. Hier wird es auch um sensible Sprache gehen. Ich stehe da, außer in meinem eigenen Fachgebiet, noch am Anfang, es könnte also sein, dass ich, ohne es zu merken, ebenfalls verletzende Sprache verwende. Weise mich gerne darauf hin, falls das passiert.
  2. Dschungelcamp ist der Aufhänger (weil gibt Klicks), aber man muss das nicht schauen (oder mögen), um diesem Text folgen zu können. Es fallen Namen, aber Uneingeweihte können sich die Namen einfach als Platzhalter denken.
  3. Größtenteils schreibe ich über das Konzept Behinderungen. Ich habe keinen Behinderungsgrad mit meiner Panikerkrankung, ich spreche also nicht direkt für mich. Aber ich werde über Bereiche reden, von denen ich den Eindruck habe, dass die Situation bei psychischen Krankheiten ohne GdB vergleichbar ist. Man braucht keinen GdB um von Ableismus betroffen zu sein.

Ableismus – Able ismus

Wer sich, anders als die Browser-Rechtschreibprüfung, grundsätzlich für Themen wie Gesundheit, Soziale Gerechtigkeit, etc interessiert, dieser Person ist das Wort Ableismus sicher schon einmal untergekommen, ohne es komplett “richtig” einordnen zu können.

Screenshot des Satzes zuvor, mit der Darstellung der Rechtschrbeiprüfung des Browsers. Die Rechtschreibprüfung hat das Wort "Ableismus" rot unterstrichen, was darauf schließen lässt, dass dieses Wort nicht im Standardwörterbuch vorhanden ist.
Die Rechtschreibprüfung des Browsers kennt das Wort “Ableismus” offenbar nicht.

Eine Lektion vorneweg: Es wird nicht Ab-lei-(i)smus ausgesprochen, sondern Able-ismus. Aus irgendeinem Grund ist das noch mal ein ganz anderer Eye-Opener – wie wenn man auf einmal versteht, dass es “Lap Top” ist und was das bedeutet. So war’s bei mir zumindest (beide Beispiele).

Für alle, die eher auf Rechtschreibprüfungsprogramm-Stufe sind, fasse ich mal das Konzept kurz zusammen: Ableismus ist, wie andere ‑ismen, eine Diskriminierungsform.

Ich benutze jetzt mal die Definition der Fachstelle Teilhabeberatung:

Ableismus ist das Fachwort für die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung (“Diskriminierung”) wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten. Es ist also “Ableismus”, wenn ein Mensch wegen einer bestimmten, oft äußerlich wahrnehmbaren Eigenschaft oder einer Fähigkeit – seinem “Behindertsein” – bewertet wird.

Fachstelle Teilhabeberatung

Und da fängt es schon an. Ich habe jetzt relativ lange nach einer guten Quelle für eine Definition gesucht. Ich kenne die üblichen einschlägigen Informationquellen für soziales Bewusstsein generell, aber ich weiß eben auch, dass auch diese nicht automatisch sensibel über Behinderungen kommunizieren. Außerdem ist mir klar, dass Organisationen, die sich voranging mit dem Thema beschäftigen, nicht immer gute Allys sind. Yes, I am looking at you, Aktion Mensch!


Ein erklärendes Video, gepostet von Luisa L’auddance findet ihr hier . Zum Begriff “Inspiration Porn” fand ich diesen Beitrag sehr informativ.


Noch ein letztes Wort deshalb zum Umgang an sich, der auch Sprache mit einschließt: Ich versuche mich an sprachlich daran zu orientieren, was Raul Krauthausen dazu denkt: Ungenaue Sprache hilft niemandem. Sagen, was ist.

Wann geht’s denn endlich um’s Dschungelcamp???

Geht los. CN ableistische Sprache.

Claudia: “Mein Fuß klopft. Wenn ich den hochlege, den Fuß, dann kann ich mich ja nicht dabei hinsetzen, so, behindert, ich hab ja keinen Stuhl da oben”

Tessa: “Das Wort ‘behindert’ sollte man so übrigens nicht benutzen.”

Claudia: “(…) Ich bin behindert, weil ich einen kaputten Fuß habe! (…)”

Tessa: “Das ist doch nicht ‘behindert’, also ‘behindert’ ist was anderes.”

Claudia: “Nee, ich bin behindert, weil ich nicht richtig laufen kann. Behindert, hier rüber zu laufen. Da musst du nicht immer gleich an äh äh äh (Pause) geistes- hätte ich ‘Geistesgestörte’ bald schon gesagt.”

Tessa: “Aber kriegst du dafür einen Behindertenausweis?”

Claudia: “Das ist jetzt nicht dein Ernst, dass du mich fragst, ob ich einen Behindertenausweis kriege?”

Tessa: “Das sollte keine Kritik an dir sein. Das war nur so eine Anmerkung.”

Claudia: “Nee, stimmt. ‘Kriegst du jetzt einen Behindertenausweis für deinen Fuß?’. Ich lass mir von Cosimo da noch einmal draufkloppen, dann kriege ich einen Behindertenausweis.” (lacht)

Cosimo: “(…)”

Tessa: “Ich wollte dich nicht angreifen.”

Claudia: “Nee, aber das mit dem Behindertenausweis werde ich mir merken. Ich werde einen beantragen.”

Tessa: “Aber ich bin selber schwerbehindert und deswegen finde ich das immer kritisch, wenn dieser Begriff so laissez-faire benutzt wird.”

Claudia: “Ein Freund von mir ist schwerbehindert.”

Tessa: “Ich auch.”

Claudia: “Aber der hat mich noch nie beleidigt oder mit (…)”

Cecilia: “Aber in welcher Hinsicht bist du denn jetzt auch schwerbehindert, nur so, dass ich das wissen kann?”

Tessa: “Ach so, ich bin äh zu 60% schwerbehindert äh weil ich eine bipolare Erkrankung habe.”

Cosimo: “Ach du Scheiße.” (Zur Einordnung: Dies ist zeitlich hinter Tessas Aussage geschnitten. Man hört aber im Hintergrund Tessa genau den vorher gesagten Satz sagen – er hat das also ausgesprochen, bevor “bipolare Störung” fällt, er bezieht sich nicht auf das Krankheitsbild)

Cecilia: “Tessa, dir geht’s- soll ich dir was sagen? Dir geht’s vielleicht wirklich nicht gut und du hast auch einige Sachen, aber Behinderung? Ich arbeite mit behinderten Menschen zusammen, schon seit drei Jahren, und die könnten gar nicht erst hier sein. Also schätze das, was du hast.”

Tessa: “Ach so, du meinst also nur visuelle Behinderungen sind Behinderungen?”

Cecilia: “Nein, ich sage nicht, dass du nicht behindert bist …”

Quelle: IBES, Staffel 16 Folge 1, ab ca. 1:27:00

Der Rest entwickelt sich dann zu einem Streit über die generellen Umgangsformen miteinander.

Um welchen Ableismus geht es denn jetzt eigentlich?

Mir geht es um zwei Hauptthemen.

Das eine ist relativ schnell abgearbeitet. Der offene Ableismus in der Sprache, der Rückschlüsse auf das Denken zulässt.. Claudia benutzt das Wort “behindert” mindestens missverständlich, steuert das Ganze dann aber in eine Richtung, von der sie das Gefühl hat, dass ist “safe”. Will dann noch eine ableistische Beleidigung nutzen, merkt, dass das vermutlich auch nicht so gut ankommt – und sagt sie dann trotzdem, verpackt in “Jetzt hätte ich fast xy gesagt”. Claudia denkt nämlich höchstwahrscheinlich, so wie es auch im Allgemeingebrauch üblich ist, an eine körperliche, sichtbare, Behinderung. Und darum kommt ihr auch gar nicht in den Sinn, dass sie nicht nur ÜBER behinderte Personen redet, sondern möglicherweise auch MIT einer behinderten Person. Plottwist! Und wie reagiert eine Karen, die sich mit einem -ismus-Vorwurf konfrontiert fühlt? “Einige meiner besten Freunde sind ___”. Na clear! Dann kommt noch Cecilia, die nicht nur eine Information abfragt, die nicht ganz unbegründet als sehr persönlich gilt, sie spricht auch Menschen mit Schwerbehinderung ab, in den Dschungel gehen zu können. Und damit auch vice versa.

(Cosimo lass ich hier mal raus, weil der Schnitt es schwer macht, die Aussage zu bewerten, außerdem ist er kein aktiver Teil dieses Austausches.)

Ableismus an Unsichtbaren

Und das ist mein zweites Thema. Der Dualismus von nicht sichtbaren Behinderungen und Einschränkungen. Eigentlich ist das alles nicht so schlimm bzw. nur eine Sache des Willens/Mindsets/Anstrengens, gleichzeitig wird aber auch jedes abweichende Verhalten direkt der Krankheit zugeschrieben.

Cecilia empfindet Tessas Grad der Behinderung als nicht so einschneidend, weil man es ihr nicht ansieht. Fairerweise muss man auch dazu sagen, dass man im Dschungelcamp nie die andere Seite wahrnimmt, also dass sie weniger ernst genommen wird, weil man sie für nicht ernstnehmbar hält. Es wird uns zumindest nicht gezeigt. Das wiederum findet dann aber auf Twitter statt. Da mehrten sich seit Tessas Aussage die Kommentare dazu, dass man Menschen mit einer bipolaren Störung nicht in so ein Format “lassen” sollte – und zwar jedes Mal dann, wenn Tessa “unerwünschtes” Verhalten zeigt (und bei Gott, das tut sie oft. Sooo oft!). Es wird ihr abgesprochen, dass sie eine informierte, rationale Entscheidung treffen könnte. An solche z.T. vorgeblich besorgten Zweifel darüber, ob die Person eine informierte Entscheidung getroffen hat, kann ich mich nicht erinnern, wenn Kandidat*innen überrascht waren, dass der Dschungel ECHT ist und kein Studio in Köln.

Cut zur Panikerkrankung, damit ich nicht die ganze Zeit von Dingen rede, von denen ich keine Ahnung habe. Ich könnte jetzt beschreiben, was alles klein geredet wird im Vergleich zu anderen, sichtbaren Krankheiten/Behinderungen, aber warum soll ich das aufzählen, wenn das schon über 500 andere Menschen gemacht haben? Nämlich hier in den Twitter-Antworten:

Das ist die eine Form von nicht-ernst-nehmen. Die Symptome und Auswirkungen nicht ernst nehmen, klein reden, vergleichen mit anderen.

Nicht in diesem Ton!

Dann gibt es aber noch die andere Form des nicht-ernst-nehmens: Eine Pathologisierung von “unnormalem” Verhalten. Und ich kann das total nachvollziehen. Ich kann mich dem auch selber manchmal gar nicht entziehen. Gehe ich jetzt nicht ins Kino, weil ich mich nicht aufraffen kann, weil ich mich noch krank (Grippe) fühle oder ist das die aufkommende Panik? Will ich jetzt wegen Panikattacke nach Hause oder bin ich halt einfach knapp 40 und möchte ins Bett? HIER habe ich schon mal über so einen inneren Dialog geschrieben.

Die häufigste Zuschreibung von anderen, die ich aktuell im Zusammenhang mit einer Angststörung lese, ist das Masketragen. Ich trag in öffentlichen geschlossenen Räumen noch Maske. Stört mich selten und ich bin wirklich super ungern krank – egal mit was. Die Kommentarspalten sind voll von Maskengegnern bzw. Freihheitsfightern (bewusst nicht gegendert), die den Tragenden eine Angststörung attestieren. Man möge sich behandeln lassen. Und das für eine individuelle, (aus irgendeinem Grund) unbequeme Entscheidung, die nun wirklich nichts mit einem Krankheitsbild zu tun hat.

Ich habe die Vermutung, dass Menschen mit einer anderen (nicht sichtbaren) Krankheit, die sich noch direkter auf ihr Sozial- und Interaktionsverhalten auswirkt, davon viel stärker betroffen sind. Dass ihre Bedürfnisse und ganz speziell ihre Grenzen deutlich häufiger nicht ernst genommen werden, weil sie in solchen Moment als “meint das ja nicht so” wahrgenommen werden.

Mit diesem Trick kannst du ganz einfach Ableismus vermeiden:

Ich habe keine Moral der Geschichte, keinen Bessermachtipp und auch keinen Appell. Ich wollte nur Gedanken mitteilen, die mir schon einige Tage im Kopf schwirren. Hilft beim Sortieren. Und vielleicht kann ja noch eine lesende Person irgendwas draus ziehen.

Tessa hat das Camp mittlerweile bereits verlassen, Claudia wird es ihr bald gleichtun und die einzige Frage, die ich mir zu diesem Zeitpunkt noch stellen kann, ist:

Team Cosimo oder Team Djamila?


Worte, die die Autokorrektur meines Browsers zu diesem Thema nicht kannte und markiert hat: GdB, Ableismus, Teilhabeberatung

Tiffi

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