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Aktivismus von Zuhause aus

Ich hab viele Meinungen und Ansichten. Und die sind mir wichtig.

Das hat sich über die Jahre so entwickelt. Ich war schon immer politisch links, aber in so einer Kleinstadt mit geringem Anteil an Marginalisierten aller Art aufzuwachsen, mit guten finanziellen Chancen und Zugang zu guter (privater) Bildung, da war das wohl mehr eine Wohlfühlhaltung (naja und Menschenfreundlichkeit macht halt auch einfach Sinn), als dass ich jetzt wirklich viel von Betroffenen wusste.

Ich denke, in den letzten Jahren hab ich ziemlich viel gelernt durch soziale Netzwerke, konnte direkt von Betroffenen lesen, egal ob es um Alltagsdiskriminierung geht oder institutionelle Probleme. So halte ich mich heutzutage für einigermaßen straight und gefestigt in meinem Wertesystem, natürlich dabei immer bereit, zuzuhören und zu checken, wo es echt noch Optimierungsbedarf gibt bei mir.

Jetzt im Zusammenhang mit den weltweiten Demos gegen Rassismus und Polizeigewalt stellt sich zwangsläufig auch die Frage nach der aktivistischen Teilhabe. Die fühlt sich für mich, wie bei vielen Personen mit Anxiety, sehr beschränkt an, speziell, wenn man sieht, was andere so auf die Beine stellen.

Ich kann nicht einfach rausgehen und an einer Demo teilnehmen (oder zum Retten aufs Mittelmeer raus fahren — Shoutout an meinen coolen Bruder). Zum einen gäbe es keine in meiner Nähe, also müsste ich hinreisen, fällt also schon mal weg. Und auch wenn es hier eine gäbe, da wär ich sehr abhängig von meinem Feeling an dem Tag. Ich war schon auf Kundgebungen in meiner Kleinstadt; aber ich war eben auch schon auf genug Kundgebungen NICHT, obwohl mir das Thema wichtig war. Ich finde Leute total toll, die gerade in dieser Stadt, wo dann nicht mehr als 100 Menschen kommen werden, so etwas auf die Beine stellen und Probleme und Themen sichtbar machen, die vielleicht gerade wegen unserer Dörflichkeit zum Teil nur eine Randnotiz in der Tageszeitung sind (don’t get me started on Internet). Manchmal würde ich das auch gern können, aber da muss man auch ehrlich genug sein, dass da vielleicht nicht die Angststörung die Hauptbremse ist, sondern vermutlich Feigheit und auch Gemütlichkeit.

Aber Aktivismus bietet viel mehr Möglichkeiten, als auf der Straße zu demonstrieren. Auch Menschen mit Angststörung können was machen. Und das fühlt sich vermutlich oft klein und unbedeutend an, aber so Einzelhandlungen summieren sich — bei der Einzelperson selber und bei vielen Einzelpersonen kombiniert.

Was man selber machen kann, das hängt vom Charakter und Alltag ab. Aber ich hab da ein paar Ideen:

Ich z.B. verbringe viel Zeit vor dem Computer und in sozialen Netzwerken. Und ich kann gut formulieren. Ich kann einen Blogeintrag über das Thema schreiben, der eine Zielgruppe anspricht, die in dem Kontext nicht so oft spezifisch angesprochen wird. Ich kann z.B. Menschen Reichweite geben, deren Stimme im Prinzip nur aufgrund ihrer Hautfarbe nicht so oft gehört wird. Institutionen oder Vereinigungen dito.

Hier sind Insta-Aktivist:innen (danke an die @Konfettikrake, die bei Insta mehr Überblick hat als ich):

@shaneebenjamin
@aminatabelli
@rachel.cargle
@alice_haruko
@tupoka.o
@aminajmina
@tesfu_tarik
@saymyname_bpb

Ich hab auch das Glück, dass ich finanziell gut dastehe, das ist natürlich ein Privileg für einen psychisch kranken Menschen. Man kann also auch finanziell unterstützen, wenn man es sich leisten kann (aber niemand sollte sich schlecht fühlen, wenn er:sie es sich nicht leisten kann).

(Links unter anderem gesehen bei Afroking , der auch einen eigenen Podcast hat und bei MayaMitKind, die -bei noch vielen anderen Themen- über die Rechte und den Alltag von trans Menschen informiert und bloggt)

Vielleicht können andere sich besser durch Musik oder Darstellende Kunst ausdrücken, da fehlt mir das Talent, aber wer das gut hinkriegt, kann damit andere Menschen erreichen. Ich weiß von vielen Menschen mit psychischen Krankheiten, die sich irgendwie musisch betätigen, aber oft eher für sich. Das ist so schade! Ich schreib hier (nicht, dass das irgendwie Kunst wäre…) und es lesen schon nach einer Woche ein paar Menschen. Die Überwindung find ich schwierig und ich fühl mich noch dauernd albern überambitioniert — aber das ist wie 500m ganz langsam joggen. Da ist man mehr gejoggt als viele andere Leute an dem Tag.

Auch super wichtig ist, im eigenen Umfeld was zu sagen, wenn was auffällt. Das braucht manchmal viel Energie und ich kann nachvollziehen, wenn man das nicht möchte, weil man die Energie schon benötigt, um durch einen normalen Alltag zu kommen, ohne zusätzliche Konflikte. Aber andererseits möchte man ja auch nicht, dass Freunde oder Verwandte andere Personen verletzen, speziell, wenn es nicht mal beabsichtigt ist. Ob man da konfrontativ ist oder eher durch die Hintertür, das hängt wohl vor allem vom eigenen Charakter und Adressat:in ab. Ich neige dazu, durch die Hintertür effektiver zu finden, aber manchmal bin ich trotzdem impulsiv. Ich glaub übrigens ganz fest, dass man trainieren kann, sowas auszuhalten, selbst wenn man wenig Energie hat. Man kann damit anfangen, nur kurz was einzuwerfen, aber sich nicht auf eine Diskussion einzulassen (und dann merken, wie richtig es sich anfühlt, den Mund aufgemacht zu haben, selbst wenn es sich danach erst mal unangenehm anfühlt).

Und das ALLERWICHTIGSTE zum Schluss: Zuhören. Lesen. Weiterbilden. Man wird sich da (speziell als weiße Heteroperson) manchmal echt ertappt fühlen und mehr als einmal Reflexe haben wie “Naja, ich mach das ja nicht”, “Das find ich jetzt ein bisschen too much, da gibt’s ja wohl Schlimmere/s”, “Das hab ich zwar so mal gemacht/gesagt, aber das war ja nicht diskriminierend oder so gemeint” und der Tone Policing-Klassiker “Ich hör dir erst zu, wenn du normal mit mir redest und nicht so wütend”. Jede:r von uns weißen “Deutschgeborenen” ist mit Rassismen groß geworden und die brennen sich ins Unterbewusstsein ein. Dafür können wir nicht mal richtig was. Wir haben unser ganzes Kinderleben lang einer weiß-geprägten Umgebung zugehört und geglaubt, was die sagen und vorleben. Und das ist schwer wieder rauszukriegen.* Wichtig ist eben, jetzt einer nichtweiß-geprägten Umgebung zuzuhören und das genauso zu glauben und dann versuchen, das nachzuleben. Das unterscheidet “uns” -hoffentlich- von aktiven Rassisten. Die Erkenntnis, was man da macht/denkt und worauf das basiert und dass man das ändern sollte und kann. Ich werd sicher auch noch mal an anderer Stelle was zu den Begriffen “xy-phobie” im Vergleich zu realer psychischer Erkrankung schreiben.

Das Hinterfragen->Erkennen->Andersmachen ist gar nicht so anders wie bei einer Angststörung, wenn man sie ordentlich angeht (und nicht vermeidet, so wie ich): Man muss erst mal merken, was das Unterbewusstsein da mit uns macht. Dass die Panik gerade gar nicht legit ist, es dem Körper eigentlich gerade gut geht. Und dann sollte man daran arbeiten, diese Denkmuster zu durchbrechen. Aushalten, dass es sich gerade scheiße anfühlt, aber dranbleiben. (Das alles gilt natürlich für alle -ismen, nur ist der aktuelle Anlass eben Rassismus)

So. Das klingt jetzt total pathetisch und stellt euch beim Lesen jetzt eine coole Musik im Hintergrund vor (oder macht sie an): Denkt also bitte nicht, ihr könnt nichts beitragen. Jede:r kann immer was machen. Wenn man bei sich selber was macht, ist das schon das Anstrengendste, was man tun kann. Viel anstrengender, als zu ner Demo zu gehen — selbst mit Angststörung.

#BlackLivesMatter

Und wer gerne liest:

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten (gibt’s auch als Hörbuch unter anderem bei Spotify)

Tupoka Ogette: exit RACISM (ebenfalls bei Spotify)

Ferda Ataman: Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!

Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus

Kübra Gümüşay: Sprache und Sein

Außerdem hat die Bundeszentrale für politische Bildung viele gute Bücher für ganz wenig Geld

*Schmerzhafte Selbsterkenntnis-Beispiele gefällig?

1. Ich hab mich dabei ertappt, dass ich einer Frau, die bei Kleiderkreisel für einen ungewöhnlich großen Betrag bei mir gekauft hat, innerlich schneller unterstellt habe, es könnte sich um Betrug handeln, weil sie in gebrochenem Deutsch schrieb.

2. Ich fühl mich immer ein bisschen unwohler, wenn mir eine Gruppe Männer mit optischem Migrationshintergrund entgegen kommt als wenn es eine Gruppe ohne diesen ist.

Beides beruht NULL auf irgendwelchen Erfahrungen. Nur auf unterbewusst Gelerntem — letzteres auch durch die Medien in den letzten Jahren und das, obwohl ich da ja standpunktmäßig schon viel weiter war. Die Scheiße frisst sich unterbewusst rein während man gleichzeitig aktiv denkt, was die Headline da für ein unangemessenes Framing betreibt.

-Wenn jemand vom Chef spricht, nehme ich automatisch keinen Migrationshintergrund an. Das basiert vermutlich auf Erfahrungen, aber ist auch automatisches Unsichtbarmachen. Eigentlich nehme ich bei jedem:r automatisch eine weiße Person an, wenn es nicht explizit anderes gesagt wird, weil das für mich die “Normalität” ist.

-Und ich nehme im Reflex immer noch bei fremden Personen mit Nicht-Urdeutschem Namen an, dass sie in einem anderen Land geboren sind.

Ich korrigier zwar für mich diese Reflexe fix, aber für sowas schäm ich mich so sehr, dass das als Sternchen unten drunter kommt und nicht in den Fließtext.

Autor

Tiffi

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