Das klingt ja erst mal ein bisschen nach einem Krimi von Jussi Adler-Olsen. Im echten Leben ist Vermeidung aber sehr viel unspektakulärer:
Man geht einfach nicht hin.
Vermeidung ist das Schlechteste, was man machen kann, wenn man Panikattacken hat (und sie loswerden will). Das ist wie das uralte Beispiel mit dem vom-Pferd-fallen und wieder-aufsteigen. Die Tatsache, dass es alt ist, sagt aber nichts über die Korrektness aus. Es stimmt nämlich.
Wie immer kann man nicht generalisieren. Es gibt sicher Leute, bei deinen wird Konfrontation alles irgendwie schlimmer machen. Aber das sind sehr, sehr wenige. Ich weiß, dass viele sich so fühlen, als würden sie zu dieser Minderheit gehören, aber das ist meist nicht so.
Ich war nie gut in Konfrontation. Ich kriege diese Überwindung nicht hin, wenn ich keinen Grund habe. Also ich meine einen kurzfristigen Grund. “Gesund” werden wäre ein guter Grund, aber der ist so weit weg wie eine mögliche schlimme Erkrankung weit weg und unwahrscheinlich scheint, wenn man raucht.
Ein kurzfristiger Grund ist, wenn ich etwas wirklich will und mich deshalb dann dazu überwinden muss. Aber dann ist es auch nicht wirklich Training, weil es ja meist eher was einmaliges ist. Ich hab mal einige Zeit einen Yoga-Kurs und auch mal einen Arabisch-Kurs bei der VHS gemacht. Das war am Anfang leichter, weil es da noch so etwas Besonderes war, etwas, wofür es sich lohnt, sich anzustrengen. Aber je unbesonderer es wurde, desto geringer wurde dann auch meine Motivation, das Lampenfieber* jedes mal auszuhalten. Und ja, es war leichter als am Anfang, aber es war meist immernoch nicht so leicht wie für andere.
Ich hab auch mal einen Aufgaben-Adventskalender gemacht. Da habe ich mir aufgaben aufgeschrieben, aber größtenteils sehr kleine, wie z.B. in eine Shopping Mall gehen, die ich der Ungewohnheit wegen eher vermeide oder etwas größeres z.B. war ins Kino gehen. Und die wirkliche Herausforderung, unabhängig von dem, was an dem Tag auf dem Zettel stand, war, dass ich das dann an dem Tag machen musste. Dass ich mir morgens eine Verpflichtung gegeben habe, die ich teilweise den ganzen Tag mit mir rumschleppen musste, weil eben um 10 Uhr morgens kein Film im Kleinstadtkino läuft. Und ja, ich hab mich jedes Mal danach gut gefühlt und dann am 24. noch mal doppelt so gut, weil ich das alles gemacht habe.
Und trotzdem bin ich persönlich ein Fan von Vermeiden.
Ich hab mich so eingelebt in mein Leben mit der Panik und habe mir so drumherum Nischen gesucht und gefunden, dass ich mich nicht mehr herausfordern muss. Ich habe durch meine Vermeidung so selten Lampenfieber und noch seltener Panikattacken (wobei die meist, wenn, dann aus dem Nichts und anlasslos kommen, gerne auch mal Nachts) und so ein angenehmes Leben, dass ich die wenigen Male, wenn ich entweder was machen MUSS aus einem externen Grund, oder wenn ich etwas wirklich wirklich will aus mir selbst heraus, ich das Lampenfieber auch aushalten kann und ok wird’s dann ja eh.
Ich muss halt nicht mehr daran arbeiten, dass es mir “besser” geht, weil es mir schon so wahnsinnig gut geht. Rückblickend wäre das meiste, was ich jetzt habe anders oder weniger, wenn ich nie Panik gehabt hätte. Ich hätte eindeutig weniger Zeit und weniger Ruhe für mich. Spekulativ, aber so wie mein Charakter jetzt ist, würde das vermutlich auch heißen, dass ich weniger emotionales Gleichgewicht hätte, weil ich so wahnsinnig viel Ruhe brauche. Finanziell weiß ich es nicht. Ich würde natürlich viel mehr Geld verdienen als Lehrerin, aber ich würde ja auch viel mehr machen, reisen, essen gehen, socializen… Vielleicht hätte ich mit so einem kerzengeraden Lebenslauf auch einen sehr “üblichen” privaten Weg eingeschlagen und Mann und Kinder — finanziell wieder ein Loch ohne Boden (und da denk ich dann noch nicht mal an Rente) — und wäre vielleicht unzufrieden ohne zu wissen, was mir fehlt, weil ich die Alternative (=kein Ehemann und Kinder) nie erwägt hätte. Keine Ahnung, etwas weit her geholt, diese Butterfly Effect-Gedanken.
Ich hab manchmal das Gefühl, dass ich trotz dieses “Makels” viel mehr angekommen bin als so manche andere Leute, die alles machen können. Vielleicht weil: wer alles machen kann, der will auch alles/mehr machen. Ich bin heut mit dem Auto gefahren (entspannt.), während es geregnet hat (hübsch!) und habe dabei Charles Aznavour (wunderschön!!) gehört und besser konnte mein Tag in dem Moment nicht sein. Warum soll ich dann noch irgendwo hin können wollen, wenn es HIER doch perfekt ist. Wie auf dem Foto.
*siehe Blogeintrag “Lampenfieber wegen Bankberaterin”